Mut zur Aussage
Polizeiakte: Jonny
„Bitte, lass uns jetzt gemeinsam zur Polizei gehen. Wir müssen ihn anzeigen.“ Mäc sah mich erschrocken an und ihr Gesicht war eine Spur bleicher geworden. „Ich kann nicht“, erwiderte sie leise. Ich sah sie entgeistert an und konnte die Angst fast körperlich spüren, die sich in ihren weit aufgerissenen Augen widerspiegelte. Ich riss mich zusammen und hielt für einen Moment abrupt den Atem an. Dann holte ich tief Luft und spürte eine enorme Kraft, die sich in mir sammelte. „Nein Mäc“, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. „Das werden wir gemeinsam durchstehen.“
Ich konnte sicher einen Beitrag leisten, um das giftige Netzwerk zu zerreissen. Aber ohne Mäc, ohne ihre Anzeige, hätte die Polizei wohl wenig Chancen diesem Jonny das Handwerk zu legen. Mir war klar, dass Mäc den Schock ihres Lebens erlebt hatte. Schlimmer noch als die körperlichen Schläge und die Drohungen waren die psychischen Wunden, die ihr zugefügt worden waren. Auch ich selbst hatte zu viel gesehen, um wieder weg schauen zu können. Als Mäc merkte, dass ich nicht locker liess, wurde sie wütend. „Was willst du denn, ich halte mich doch von ihm fern?“ schrie sie mich an. „Ich will ihn einfach vergessen und basta“, doppelte sie noch einmal demonstrativ nach. Auch auf die Gefahr hin, dass dieser aufkeimende, eiskalte Fahrtwind uns entzweien könnte, blieb ich hart. „Wir werden jetzt zur Polizei gehen. Wir werden beide dafür sorgen, dass dieser Zuhälter in Zukunft keiner Frau mehr etwas zu Leide tun kann. Wenn du es nicht für dich selbst tun willst, dann tue es für all die Mädchen – das sind doch noch Kinder – die in Jonnys Netz zappeln. Mäc er missbraucht sie, macht sie kaputt“ Ich spürte, dass ich mit meinen Worten einen entfindlichen Nerv bei Mäc getroffen hatte. Sie stand wie erstarrt vor mir und sah mich fassungslos, wie ein einziges grosses Fragezeichen, an. „Ja, du hast recht,“ sagte sie plötzlich ganz leise. Ich traute meinen Ohren nicht und sah sie irritiert an. „Lass uns gehen, bevor ich es mir noch anders überlege.“ Ich spürte, es war ihr ernst. „Das ist wieder die alte Mäc“, dachte ich erfreut. Wie froh und erleichtert ich war, konnte ich ihr in diesem Moment gar nicht sagen.
Auf dem Kommissariat wurden wir ausgesprochen nett empfangen. Eine junge Frau, Mitte dreissig, zeigte reges Interesse an unserer Geschichte. „Ich werde das, was hier gesprochen wird, auf Band aufnehmen. Das ist üblich so“, sagte sie freundlich und versicherte uns, dass sie unsere Anzeige sehr vertraulich behandeln würde. „Wir hatten bis heute nicht viel in der Hand. Mit ihrer Aussage erhöhen sich die Chancen, das Nest dieses Kinder- und Frauenschänders auszuheben“, erklärte sie uns das weitere Vorgehen. Jonny schien bei der Polizei kein Unbekannter zu sein. Das was uns die Kommissarin aufzeigte war das Bild eines Verbrechers der ganz üblen Sorte. Ich konnte an Mäcs Augen ablesen, wie die aufklärenden Worte der Beamtin sie zum Staunen brachten. Ich wusste, jetzt war auch den letzten Zweifel beseitigt. Es war richtig, hierher zu kommen.
Mäc erzählte aufrichtig, wie sie Jonny kennen und lieben gelernt hatte. Selbst die intimen Details verschwieg sie nicht. „Lassen sie sich nur Zeit“, sagte die Kommissarin sanft, als Mäc die Tränen nicht länger zurück halten konnte. Die Scham stand ihr regelrecht im Gesicht geschrieben. Die Stimme der Kommissarin klang wohlwollend, wie ein zartes Streicheln. Ich merkte sofort, dass sie eine erfahrene Polizeipsychologin war, die genau wusste, wie sie die emotionale Anstrengung, die Mäc leistete, begleiten musste.
„Wollen wir mit ihrer Freundin weiter machen?“ fragte die sie nach einer längeren Pause. Mäc nickte nickte nur kurz mit dem Kopf und liess sich ein wenig entspannter in ihren Stuhl zurück sinken. Die Kommissarin schob das Mikrophon vor mich und ich begann zu erzählen, wie ich mit Jonny in Kontakt gekommen war. „Vor ein paar Tagen hatte mich Mäc mitten in der Nacht angerufen. Sie war völlig fertig. Jonny hatte sie verprügelt.“ Ich zeigte ein wenig gestresst auf das Gesicht meiner Freundin. Ihr linkes Auge war immer noch etwas gerötet und darunter hatte sich die Haut leicht grünlich verfärbt. „Wenn wir das Protokoll aufgenommen haben, sollten wir noch ein paar Fotos von ihrem Gesicht machen“, wandte sich die Polizisten fragend an Mäc. Nach einem kurzen Kopfnicken von meiner Freundin forderte sie mich auf, weiter zu erzählen.
Es ist schon ein halbes Jahr her, als ich Jonny zufällig in Zürich gesehen hatte. Ich war ihm bis zu dem Haus gefolgt, in dem er wohnte. Ich wollte wissen, was er so macht und es gelang mir auch, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen. Meiner Freundin habe ich erst gestern davon erzählt. Ich hatte schon lange Angst um Mäc.“ Ich sah meine Freundin an und ihr Blick bestätigte mir, dass sie die Sorgen verstand, die ich mir um sie gemacht hatte. „Seit sie mit diesem Jonny zusammen war, hatte sie sich nämlich verändert. Jedes Mal, wenn ich mehr über ihre Beziehung in Erfahrungen bringen wollte, blockte Mäc regelrecht ab.“ Mäc hatte sich wieder in ihrem Stuhl aufgerichtet. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte, antwortete die Kommissarin für sie: „Sie durfte nichts sagen.“ Zwischen Mäc und der Kommissarin fand ein rascher verständnisvoller Blickwechsel statt. „Mäc ist in guten Händen,“ dachte ich dankbar und erzählte unbeirrt weiter. „Ich hatte Jonny regelrecht bei seinen Dreharbeiten zu einem Porno erwischt. Ja, und das war wohl auch der Grund, warum er Mäc nicht mehr sehen wollte.“ Ich stoppte eine Weile mit meiner Ausführungen, da die Kommissarin sich erneut an Mäc wandte. „Wie oft haben sie ihn denn seit dem noch gesehen“, fragte sie höflich. „Drei oder viermal vielleicht, aber er wollte nicht, dass ich mit in seine Wohnung komme. Eine Erklärung wollte er mir auch nicht geben. Als ich mich damit nicht zufrieden gab, war ich vorgestern einfach bei ihm zuhause aufgetaucht. Ich war wütend und wollte wissen, wo ich mit ihm dran wäre. So richtig Schluss hatte er nämlich nie gemacht. Schliesslich wollte er mich vor einigen Monaten noch heiraten. Nachdem er mich verbrügelt hatte, wusste ich endlich, dass er es nie ernst gemeint hatte.“ Mäc sank wieder in ihrem Stuhl zusammen und schwieg. „Irgendwie bin ich schuld, Frau Kommissarin, dass meine Freundin derart leiden musste!“ Ich hielt einen Moment den Atem an und warte auf eine Reaktion. Weder Mäc noch die Kommissarin machten Anstalten, sich zu meiner Selbstanklage zu äussern. Sie hatte beide ein Lächeln auf den Lippen und schüttelten beinahe synchron den Kopf. Nach einer kleinen Erholungspause und einem heissen Schluck Kaffee führte die Kommissarin das Interview weiter. Nun wollte sie von mir wissen, was in Jonnys Wohnung vorgegangen war. „Nachdem ich geklingelt hatte, wurde die Tür von der Frau geöffnet, die ich bereits zwei Stunden zuvor mit Jonny in einem Restaurant gesehen hatte. Sie war mindestens 50 und nun nur noch mit einem viel zu engen Höschen bekleidet, das von ihrem fetten Bauch fast ganz bedeckt wurde. Ihr üppiger Busen schwabelte hin und her und ich wollte die Flucht schon wieder bei diesem Anblick ergreifen, als sie mich fragte, ob ich Mändli sei. Ohne zu überlegen, lies ich mich auf das Experiment ein, nickte kurz, und stand bereits mitten in der Wohnung. Irgendwie hatte ich wohl aufgehört weiterzudenken, da ich sonst sicher vor lauter Angst weggelaufen wäre. Ich fühlte, dass mich die ganze Aktion und meine Lüge in die Nähe eines Abgrunds trieben.“
„Du bist zwar eine halbe Stunde zu früh, aber geh schon mal vor“, hatte die schwammige Person mit einem flüchtigen Kopfnicken Richtung Schlafzimmer gezeigt. Dann war sie verschwunden und ich stand plötzlich alleine da. Aus einem Zimmer tönte Musik. Vorsichtig näherte ich mich der Tür, die offen stand. Ich musste all meine Courage sammeln, um nicht schlapp zu machen. Dann betrat ich vorsichtig das Zimmer. Da war ein riesiges Bett, das mitten im Zimmer thronte und den Raum zu beherrschen schien. Von der Decke strahlten mehrere Spots und ich sah, wie sich zwei nackte Frauenkörper auf dem riesigen Bett räkelten und…., ja….., auf ihnen turnte, ebenfalls völlig nackt, Jonny herum. Für einen Moment stockte mir vor lauter Staunen und anekelndem Betrachten der Atem. Er hatte den Kopf von mir weg gedreht, streckte unübersehbar sein nacktes Hinterteil aus und machte sich noch nicht einmal die Mühe, mich anzusehen. In ziemlich befehlerischem Tonfall hatte er mich instruiert, dass ich mich schon mal auszuziehen sollte. Mir blieb die Spucke weg, als er anschliessend beschrieb, was er mit dem Frischfleisch im Sinn hatte. Ich gab immer noch keinen Ton von mir, blickte durch die offene Tür ins Wohnzimmer und sah, wie die Dicke mit ihren fleischigen Händen, die durch ihre auffallend überaus langen, knallroten Fingernägel nicht attraktiver wurden, Sekt in Gläser eingoss. Da drehte sich Jonny um, blickte mich fragend an und sagte: „Du bist Mändli, das haut mich um!“ „Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen und ihm schnippisch cool geantwortet, was spricht dagegen?“ Er fing plötzlich lauthals an zu lachen, und ich tat so, als ob auch ich die Situation lustig fände.“
„Lief in diesem Moment eine Kamera?“ wollte die Kommissarin wissen. „Ja, ja. Nicht nur eine, sondern drei, die ganz verschieden positioniert waren. Eine Kamera war an der Decke befestigt,“ erinnerte ich mich. „Was passierte dann“, fragte die Kommissarin freundlich. „Er hatte sich beruhigt, grinste mich nur noch unverschämt an und sagte zu mir, dass er sich wohl an die Falsche ran gemacht hätte. „Dich hätte ich eher in einem Kloster vermutet, als auf dem Strich,“ hatte er laut lachend gesagt. Es sah wirklich so aus, als ob er sich prächtig amüsieren würde, denn er schlug in einem tosenden Lachkrampf verfallen, immer wieder seine Hände auf die Gesässbacken der beiden jungen Frauen. Sie waren, schätze ich einmal, höchstens 15 oder 16 Jahre alt. Die Mädchen hatten mich neugierig und auch ein wenig ängstlich betrachtet. Als die Dicke von nebenan ebenfalls ins Schlafzimmer gekommen war, und mich zornig fragte, warum ich noch nicht ausgezogen wäre, merkte ich, dass endgültig Gefahr in Verzug war. Um ein wenig Zeit zu gewinnen nahm ich reflexartig ein Glas Sekt von dem Tablett, das mir die dicke Frau dreckig grinsend angeboten hattet. Mir war derart schlecht, dass ich glaubte, mich übergeben zu müssen. Schnell trank ich einen grossen Schluck Sekt, und das half tatsächlich. Die prickelnde Flüssigkeit wirkte wie Medizin und ich fühlte mich danach ganz komisch, irgendwie ruhig, beinahe stark. Wieder bei vollem Verstand trat ich ganz nah an das Bett heran, holte mit der Hand derart weit aus, dass der Kopf dieses Mieslings bei meinem Schlag regelrecht krachend nach hinten schellte. Anschliessend hatte ich das Glas samt dem restlichen Inhalt auf seinem schmierigen Schädel zertrümmert. Die hässliche Blondine fluchte mich an und sprang dabei wie ein gackerndes Huhn im Raum herum.“ „Was war mit den Mädchen“, wollte die Kommissarin wissen? „Ach ja, die Mädchen, die hatten sich zusammen in eine Ecke des Zimmers verkrochen“ erinnerte ich mich noch ganz vage. Als ich aus dem Zimmer stürmte kam mir Jonny wutentbrannt und schnaubend nachgerannt. Der packte mich, aber ich konnte losreißen. Bevor ich jedoch verschwand hatte ich ihm noch einen ordentlichen Fußtritt ans Schienbein verpasst. Das war‘s.“ Ich nahm einmal tief Luft und sah die Kommissarin an. „Sie hatten beide grosses Glück,“ sagte sie ehrlich. „Vielen Dank für Ihren Mut und ihre Aussagen. Wir werden in den nächsten Tagen das Nest ausräuchern.“ Ein kurzer Blick in Mäcs Augen und ich wusste, unsere Entscheidung zur Polizei zu gehen war richtig.