Zeitungsartikel

Die Väter sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Sie sind nämlich besser

 

Die Väter sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Sie sind nämlich besser
Wie Frauen lernen, die emotionale Ressource Vater anzuzapfen

Obwohl es längst erwiesen ist, dass Väter für ihre Kinder genauso wichtig sind, wie Mütter, und zwar in jedem Alter und ein Leben lang, glaubt ein Teil der Gesellschaft immer noch, dass Kinder, deren Erziehung und Aufzucht, einfach Frauensache wäre. Noch immer hat die Frau und Mutter im Kontext der Familie eine sehr hohe Gewichtung. Alle Macht den Müttern zu überlassen, hat jedoch zur Folge, dass ein Vater leicht in ein Rand- oder Schattendasein abdriften kann. Dagegen wehren sich die heutigen, neuen Väter zu Recht. Das Dilemma dabei ist jedoch, dass sie einmal die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Image – dem Bild, das die Gesellschaft vom Vater hat und ihren eigenen Vorstellungen, wie sie sich heute als Vater sehen – ausbalancieren müssen. Unzählige alte Mythen und Legenden und neue, wertefeindlichen Beurteilungen, die das Bild vom Vater geprägt haben, sind nicht leicht zu überwinden. Selbst der uralte Mythos vom strengen Patriarchen, etwas so wie er im Alten Testament beschrieben ist: „Ein Vater wird sich nur derer erbarmen, die ihn fürchten“, ist tief verwurzelt und scheint sogar in manch jungen Köpfen noch sein Unwesen zu treiben. Aber auch die neuen Mythen und wertefeindlichen Beurteilungen sind keinesfalls besser. Da ist die Rede vom angeblich abwesenden, faulen, säumigen, gewalttätigen Vater, vom Versager-Vater, der seine Kinder im Stich lässt, vom Zerfall der Familie, ja, sogar vom Ende der Elternschaft. Dem zu glauben hiesse, wir leben in einer „vaterlosen Gesellschaft“, in der sich die Väter verdrücken und den Müttern alle Familien- und Erziehungsarbeiten auflasten.

Drücken sich die Väter wirklich, sind all die Millionen von Vätern von minderjährigen Kindern auf der Flucht? Keinesfalls. An diesem Klischee können die heutigen Väter nicht mehr gemessen werden. Es muss ein Umdenken zu Gunsten der Väter gefordert werden. Sie leisten sich nämlich im Verhältnis zu ihrem Nachwuchs heute Gefühlsoffenheit, Weichheit, Zärtlichkeit, Fürsorglichkeit, ja sogar Schwäche. Attribute, die den meisten der Vätern früherer Generationen fremd waren.

Paul ist einer dieser neuen und engagierten Väter, der trotz Volltime-Job seine familiären Aufgaben sehr ernst nimmt. Dabei versucht er besonders seiner Rolle als Vater von drei heranwachsenden Söhnen gerecht zu werden. Das ist ausgesprochen schwierig, da er den ganzen Tag weg ist, im Büro. Astrid, seine Frau ist ebenfalls erwerbstätig. Sie hat ein kleines Fotostudio im Haus. Sie ist also flexibel und meistens für die Kinder da, wenn irgendwo der Gummistiefel drückt. Diese Doppelbelastung ist auch für sie nicht immer einfach zu bewerkstelligen. Wenn es aber wirklich einmal brennt, eines der Kinder vielleicht krank wird oder sie selbst beruflich stärker gefordert ist oder einfach einmal Abstand braucht, dann scheut sie sich nicht, ihren Mann um Hilfe zu bitten. „Ich musste lernen, die Verantwortung abzugeben,“ erzählt Astrid. „Erst dadurch wurde mir bewusst, über welch wundervolle Qualitäten mein Mann verfügt. Schliesslich tut es mir als Frau und Mutter auch gut, wenn mein Mann am eigenen Leib erfährt, dass das Aufziehen von Kindern und das Jonglieren eines Haushalts nicht nur anstrengend, sondern einen ganz schön beanspruchen. Heute lässt er die Arbeit ohne zu zögern fallen und kümmert sich um die Kinder, wenn ich verhindert bin. Das war nicht immer so. Zum Glück akzeptiert sein Chef seine Einstellung. Vielleicht, weil er einsieht, dass Paul beides – Beruf und Familie – versucht auf die Reihe zu bekommen. Vielleicht auch darum, weil sein Chef ebenfalls Vater von heranwachsenden Kindern ist. Auf jeden Fall ist es für mich ein gutes Gefühl, dass unsere Kinder eine Beziehung zu ihrem Vater haben. Dabei ist nicht ausschlaggebend, wie oft er mit ihnen zusammen ist, sondern wie er die oft wenige Zeit, die er hat, mit ihnen gestaltet.“ Es gibt aber auch die Abende“, erzählt Paul, „an denen ich einfach nicht ansprechbar bin. Wenn meine Kinder dann vor mir stehen und von dem, was sie erlebt haben, erzählen, denke ich nur noch: Wann darf ich endlich in die heisse Badewanne? In der Badewanne entspanne ich mich dann und sage manchmal traurig zu mir selbst: Als Vater hast du aber wieder ganz schön versagt.“
Manchmal sind es nur wenige Stunden, die Paul an den Werktagen mit den Kindern zusammen ist, mit ihnen spricht oder spielt. Doch diese Zeit ist Gold für das Selbstbewusstsein seiner Söhne und ebenso für ihn selbst – für sein Gefühl, doch ein guter Vater zu sein. Kinder brauchen keinen Supermann als Vater. Sie brauchen vielmehr einen ehrlichen authentischen Vater, der zu seinen Gefühlen steht. Der zugibt, wenn er müde und erschöpft ist. Auf der anderen Seite aber auch mit all seinen Sinnen bei den Kindern ist, ihnen zuhört, sie tröstet und ihnen beisteht, wenn es ihnen einmal nicht so gut geht.

Väter sind ganz einfach darum so bedeutend für die Kinder, weil sie anders als Mütter sind. Am „fremden“ Wesen Vater erfahren Kinder erstmals den Umgang mit der „fremden“ Welt draussen. Ein guter Vater kann als Mittler zum Unbekannten dienen. Die Mutter kennt das Kind schon ziemlich gut durch die Schwangerschaft und Stillzeit. Sie ist ihm vertraut. Der Vater ist am Anfang die spannende, unbekannte Grösse im Leben eines jeden Kindes. Er kann ihm vom ersten Moment des kennen Lernens aber genauso viel Liebe und Konstanz bieten. Die entscheidende Erfahrung, die Kinder mit ihren Vätern machen ist die, dass sie sich, obwohl sie schwach und hilflos sind, durch den starken und mächtigen Mann im Beziehungsgeflecht, bedingungslos angenommen fühlen. Bei der Mutter ist diese Zuneigung nach neun Monaten Schwangerschaft keine Überraschung mehr. Beim Vater ist das schon eine Sensation. Damit diese Liebesbeziehung zwischen Kind und Vater gelingen kann, braucht es selbstverständlich die Hilfe und Einsicht der Mutter.

Vater und Mutter sind zwei völlig unterschiedliche Personen, die an zwei ganz verschiedenen Orten stehen und dennoch gemeinsam als Eltern die Fäden in ihren Händen halten. Das heisst, dass eine Mutter und ein Vater ihr jeweiliges Ende der Schnur fest in den Händen halten und dabei abwägen müssen, welchen Druck es braucht, diesen Faden zu spannen und wie viel sie nachgeben müssen, um den Faden nicht zu überspannen oder gar zu zerreissen.

In die jeweilige Rolle, ob als Vater oder als Mutter, müssen Eltern erst hineinzuwachsen. Das braucht vor allem Mut zur Selbstverantwortung. Eltern, die dies beherzigen und vor allem sich selbst dabei nicht aus den Augen verlieren, werden auch ihre Kinder nicht aus den Augen verlieren.

 

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